Reise- und Kongreßberichte:

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Psychologie in Cuba - März 1999 -Ein Reisebericht

Der folgende Reisebericht wurde in leicht gekürzter Form in der August Ausgabe von "Report Psychologie", Verbandszeitschrift des Berufsverbandes Deutscher Psychologen veröffentlicht. Gekürzt wurde er im wesentlichen um einige touristische Details und die Danksagung am Schluß. Er wird hier in der Orginalfassung wiedergegeben.

Ankunft in Havanna

Nach fast einem Jahr Vorbereitungszeit brach am 14.3.1999 eine kleine Gruppe von deutschen Psychologinnen und Psychologen auf, um die psychosozialen Aspekte des kubanischen Gesundheitswesens näher kennenzulernen. Feucht-warme karibische Luft empfing die Teilnehmerinnen nach einem über 10-stündigen Flug auf dem Flughafen von Havanna. Nach kurzem Hotel-check-in entschloß sich die Gruppe zu einem ersten Ausflug ins kubanische Nachtleben, bevor am nächsten Tag, das anstrengende "Psychoprogramm" begann.

Vortrag am Psychologischen Institut in Havanna

Auf dem Plan stand eine kurze Einführung in die Geschichte der kubanischen Psychologie, erzählt als Geschichte des Diplomstudienganges an der Universität von Havanna. Drei Phasen in der Entwicklung der akademischen Psychologie in Kuba hoben der Dekan und der Vizedekan der Psychologischen Fakultät als Vortragende hervor: Die enthusiastische Phase der sozialen und praktischen Orientierung unmittelbar nach dem Triumph der kubanischen Revolution 1959. Eine zweite Phase der wissenschaftlichen Konsolidierung in den 70er Jahren in Verbindung mit der Entsendung vieler Stipendiaten nach Frankreich, Belgien und vor allem in die Sowjetunion, und eine dritte aktuelle Phase nach dem Zusammenbruch der UDSSR. Aktuell halten sich wohl Revision aller (akademischen) Spielarten der Psychologie und Bemühungen sich auf den historisch-kulturellen Ansatz Wygotskis zu einigen in etwa die Waage.

Besuch des AIDS-Sanatoriums

Am Nachmittag begann dann der mehr praktische Teil der Studienreise. Wir besuchten unter anderem das Sanatorium für HIV-Infizierte und Aidskranke. Der leitende Psychologe führte uns mit viel Humor und Herzlichkeit in seine Arbeit ein. Bemerkenswert auf den ersten Blick die hohe Zahl der Langzeitüberlebenden in dieser Institution. Die Zeiten übrigens, in denen HIV-Infizierte zwangsweise langzeit interniert wurden, sind schon lange vorbei. Heute müssen HIV-Infizierte an einem ca. 8 wöchigen stationären Orientierungskurs teilnehmen, bevor sie relativ frei entscheiden können, ob sie lieber weiter in ihrem alten sozialen Umfeld leben möchten oder ins Sanatorium umziehen. Oft bevorzugen die HIV-Infizierten das Sanatorium, weil hier die Versorgung mit Lebensmittel und anderen Gütern des täglichen Bedarfs besser ist, als in ihrem alten Umfeld. Als Besucher beeindruckte uns die ungezwungene und fröhliche Art des Umgangs miteinander.

Besuch der Psychiatrie und Diskussionen in der Universitätsambulanz

Am nächsten Tag stand dann die Psychiatrie und das Ambulanzzentrum der Universität auf dem Programm. Die Psychiatrie ist in gewisser Weise ein Vorzeigeprojekt des kubanischen Gesundheitswesens und bezieht ihr Renommee im wesentlichen aus den erheblichen Verbesserungen in der Betreuung der psychiatrisch Erkrankten seit 1959. Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der Arbeitstherapie. So wurden uns neben den großen Schlafsälen ausführlich die Werkstätten gezeigt. Mehr zufällig bekamen wir eine Aufführung des "Psychoballetts" mit und krönender Abschluß war die beeindruckende Vorführung der musiktherapeutischen Arbeitsgruppe. Am Nachmittag verwickelten wir uns am Diagnose- und Behandlungszentrum der psychologischen Fakultät ganz gegen unsere Absichten dann mehr in theoretische Diskussionen und waren beeindruckt über den ausgesprochen hohen Stand der theoretischen Reflexionen, die an diesem doch hauptsächlich psychotherapeutisch und beratend orientierten Zentrum betrieben wurden. Es ist schwer diese Diskussionen zusammenzufassen, aber es blieb doch der Eindruck haften, daß nach einer Phase der Orientierung an den empirisch-statistischen Vorgaben der us-amerikanischen Psychologie (die trotz zahlreicher Kontakte und Studienaufenthalte in der ehemaligen Sowjetunion anscheinend ihren Einfluß behaupten konnte) jetzt erhebliche Zweifel an diesem Ansatz von einem mehr subjektwissenschaftlichen und qualitativ-orientierten Zugang her geübt werden. Allerdings war es schwer diesen vagen Eindruck bestätigt zu bekommen, denn trotz aller Differenzen betonten die kubanischen Kolleginnen und Kollegen auf Nachfrage immer wieder ihre Gemeinsamkeiten in der Lehre und in der praktischen Arbeit. Auf dem Gebiet der Psychotherapie übrigens herrscht das gleiche kunterbunte Neben- und Miteinander, wie in der Psychoszene der Bundesrepublik. Kognitiv-Verhaltenstherapeutische Ansätze, gelegentliche Supervisionen durch eingereiste befreundete Psychoanalytiker, Psychodrama, Gestalttherapie, Gesprächspsychotherapie nach Rogers, Hypnotherapeutische Ansätze, all dies läßt sich in Kuba finden, wobei allerdings oft das Fehlen einer organisierten psychotherapeutischen Ausbildung, wie wir sie im Westen kennen, von den kubanischen Kolleginnen und Kollegen beklagt wurde.

Besuch beim Babalawo

Nach zwei anstrengenden Tagen, die uns aber wie eine kleine Ewigkeit erschienen, hätten wir eigentlich eine kleine Pause verdient gehabt. Aber fleißig wie wir waren, widmeten wir uns neben der mehr offiziellen Psychologie am Abend noch den traditionellen afrokubanischen Heilweisen und besuchten einen Priester der Santaria-Religion. Alle TeilnehmerInnen wollten sich die Gelegenheit zu einer persönlichen Beratung nicht entgehen lassen und so zogen sich die "Therapiestunden" dann bis spät in die Nacht hinein.

Santiago

Nach nur wenigen Stunden Schlaf hieß es dann wieder "aufstehen" zu unserem Flug ans andere Ende Kubas, zur zweitwichtigsten Stadt des Inselstaates, und ewigen Antipode Havannas: Santiago de Cuba, die rebellische Stadt, die Stadt der Gastfreundschaft. Und so empfing uns denn auch die versammelte Professorenschaft der psychologischen Fakultät ausgesprochen herzlich und ausgelassen fröhlich. Nach der gegenseitigen Vorstellung erlebten wir eine der wohl witzigsten Stadtführungen, weil es sich die relativ jungen Mitglieder der Fakultät nicht nehmen ließen, höchstpersönlich alle leeren Sitze unseres kleinen VW-Stadtführungsbusses zu besetzen, um uns im munteren Neben-, Gegen- und Miteinander der Wortbeiträge die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu erklären. Auch in Santiago de Cuba besuchten wir an den folgenden Tagen wieder wichtige psychologische und psychotherapeutische Einrichtungen, unter anderem die Tagesklinik für neurotisch und psychotisch Erkrankte am Zentralkrankenhaus in Santiago. Mit Stolz wurden wir auch zu einem Gemeindekulturzentrum in einem sozial schwierigen Stadtviertel von Santiago geführt, welches unter maßgeblicher Beteiligung der Abteilung für Gemeindepsychologie aufgebaut worden war. Unsere kubanischen Freunde ließen es sich nicht nehmen, uns an einer afrokubanischen Tanzvorführung teilnehmen zu lassen. Und so kamen wir dann doch noch jenseits der gestylten und extra für Touristen geprobten Tanzvorführungen in Havanna, hier am anderen Ende Kubas, in den Genuß einer tänzerischen Vorführung der afrokubanischen Götterwelt, getanzt und vorgetragen mit viel Freude von den unausgesuchten Mitgliedern und Stadtteilbewohnern dieses "Centro Cultural". Nachdem uns die kubanischen Kollegen und Kolleginnen so viel von sich gezeigt hatten, wollten sie natürlich auch etwas von uns gezeigt bekommen. Eine vage und vorsichtig angedeutete Möglichkeit zur Einführung in einige hypnotherapeutische Techniken, geäußert von seiten einer deutschen Kollegin, wurde von den kubanischen Kollegen dann auch sofort aufgegriffen und es wurde ein Termin für den nächsten Tag festgesetzt, an dem dann auch nicht mehr zu rütteln war. Unser Erstaunen (und Erschrecken) war sehr groß, als statt der ausbedungenen 15 Teilnehmerinnen am nächsten Tag über 150 Studenten und Studentinnen, sowie die versammelte Professorenschaft, auf die angekündigte Einführung in hypnotherapeutische Techniken warteten.

Ausklang

Nach soviel Anstrengung und Anspannung waren dann alle Beteiligten froh, als sich am nächsten Tag herausstellte, daß der geplante Besuch einer weiteren Institution nicht möglich war. Mittlerweile geübt und angesteckt durch das kubanische Improvisationsvermögen entschlossen wir uns spontan zu einem Ausflug in die Berge, die Santiago umgeben. Wir genossen die herrliche Landschaft und alte (gärtnerische) Leidenschaften wurden wach, als uns auf dem Rückweg ein Gärtner die wunderbare karibische Pflanzenwelt "seines" botanischen Gartens erklärte. Unser Glück war (fast) perfekt als unser kleiner Ausflugsbus am späten Nachmittag am Strand von Santiago ausrollte und wir uns nach einer anstrengenden Woche im Schatten einiger alter Palmen in den Sand sinken ließen und es genossen zu zuschauen, wie eins um andere Mal die Wellen des türkisblauen karibischen Meeres sanft am Strand ausliefen. So fand eine ereignisreiche Woche ihr harmonisches Ende, für einige Teilnehmer leider auch das Ende ihres Aufenthaltes in Kuba, jenes Eilandes von dem Kolumbus sagte, daß Schöneres menschliche Augen noch nicht gesehen hätten.

Danksagung

Wir bedanken uns für diese unvergeßliche Woche bei all unseren kubanischen Gesprächspartnern und Freunden und insbesondere bei unserer kubanischen Reiseleiterin Miriam, die unermüdlich für uns hin- und her übersetzte (bis sie manchmal selber nicht mehr wußte, in welcher Sprache sie sich jetzt befand) und die uns zwischen den Seminarteilen mit den schönen Kleinigkeiten (z.B. Pizza im Straßenverkauf, organisiert mit Hilfe einer Kordel und einer alten Einkaufstasche aus der Privatwohnung im dritten Stock eines Hauses) und den Schwierigkeiten und Widersprüchlichkeiten des kubanischen Alltags vertraut machte und immer ein offenes Ohr für unsere zahlreichen Sonderwünsche hatte. Unser spezieller Dank gilt aber auch der Reisegesellschaft avenTOURa-Cubareisen ohne deren besonders hohen Einsatz in der Vorbereitungs- und Durchführungsphase diese Spezialreise nicht möglich gewesen wäre.

Wer im nächsten Jahr (voraussichtlich wieder März) ebenfalls an einer Studien- und Begegnungsreise "Psychologie in Cuba" (mit dem Schwerpunkt psychosoziale Institutionen) teilnehmen möchte, kann sich jetzt schon vormerken lassen bei: Dipl.-Psych. Rainer Kurschildgen (Tel./Fax: 0761-406111) oder Gerd Deininger (avenTOURa Cubareisen, Tel.: 0761-211699-0, Fax: 0761-211699-9).

Wer mehr Interesse an den theoretischen Arbeiten der kubanischen und lateinamerikanischen Psychologie hat, für den bietet der 3. Internationale Kongreß zur Psychologie in Lateinamerika und der Karibik eine gute Möglichkeit erste Kontakte zu knüpfen. Der Kongreß findet vom 16. - 19. November diesen Jahres in Santiago de Cuba statt und es werden Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus ganz Lateinamerika und der Karibik erwartet. Nähere Informationen erteilt: Dipl.-Psych. Rainer Kurschildgen (Tel./Fax: 0761-406111).


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