Geschichte der psychoanalytischen Bewegung in Kuba:

© Rainer Kurschildgen. Dieser Aufsatz darf ohne audrückliche Zustimmung des Autors weder kopiert noch auf sonst eine Art und Weise vervielfältig oder in elektronischer Form gespeichert oder verändert werden. Es handelt sich um einen Preprint. Entwurf vom 2.1.2002, überarbeitet am 10.2.2002

Wenig ist über die Geschichte der Psychoanalyse in Lateinamerika bekannt. Einige Eckdaten hat Stubbe 1995 veröffentlich und zugleich eine ausführliche Geschichte der Psychoanalyse in Brasilien vorgelegt (Stubbe 1997). Auch einige andere Länder sind vergleichsweise gut untersucht (z.B. Argentinien). Im Spezialfall Kuba hat die Nähe zur USA und die anhaltende nicht nur wirtschaftliche, sondern wohl auch mentale Blockade manches verhindert. Eingeweihte haben vielleicht noch von den Treffen zwischen den kubanischen Psychologen und den ausländischen Psychoanalytikern gehört, die alle zwei Jahre in Kuba stattfinden. Eines dieser Treffen gelangte zu einer gewissen Berühmtheit, als Maria Langer dort einen Vortrag über Psychoanalyse hielt und angeblich Fidel Castro in einem persönlichen Gespräch davon überzeugte, seine ablehnende Haltung gegenüber der Psychoanalyse aufzugeben. Wie viel davon Mythologie ist, wissen wir nicht. Über die Treffen an sich kursieren im Internet einige persönliche Berichte und auch in deutschen und österreichischen Publikationen wurden Erlebnisberichte wiedergegeben. Ob und inwieweit die auf den Treffen gehaltenen Vorträge jemals gesammelt und veröffentlicht wurden, ist unbekannt. Einige bibliographische Angaben deuten an, dass es in der Bibliothek von Havanna noch Sammelbände zu geben scheint, bisher ist aber noch niemand dieser Spur nachgegangen(1).

Um so mehr wird es wahrscheinlich erstaunen, dass es in den Jahren vor der Revolution eine rege psychoanalytische Bewegung gab, die die Gründung eines Psychoanalytischen Institutes vorbereitete und es immerhin bis zur Anerkennung einer Studiengruppe durch die IPV brachte. Die weitere Geschichte der Psychoanalytischen Bewegung brach dann aber in den Jahren nach dem Sieg der Revolution ab. Von dieser Geschichte einer sich institutionalisierenden - und dann desintegrierenden - psychoanalytischen Gruppe in Kuba soll hier gestützt auf ein bisher unveröffentlichtes Manusskript von Acosta Nodal, einem führenden Mitglied dieser Gruppe und ehemaligen Lehrprofessor am medizinischen Institut der Fakultät Galixto Garcia, die Rede sein (Acosta Nodal o.J.).

Gestützt auf dieses Manusskript kann man sagen, dass sich die psychoanalytische Bewegung in Kuba im Vergleich zu den anderen lateinamerikanischen Ländern vergleichsweise spät formierte. Dies ist aufgrund der Nähe zur USA und den engen kulturellen Bindungen an die USA zunächst verwunderlich. Warum sich dieser Prozeß in Kuba verzögerte, wurde bisher noch nicht hinreichend untersucht.

Ein Kreis von Interessenten scheint sich zunächst in zwei institutionelle Zentren herausgebildet zu haben. Das schwergewichtigere von beiden war die psychiatrische Abteilung des Hospitals Galixto Garcia. Hier bestand die Gruppe der Psychoanalyse-Interessierten zunächst aus 17 Mitgliedern. Die wichtigsten seien hier namentlich genannt und kurz vorgestellt: José Angel Bustamante, Oscar Sagredo und Carlos Acosta Nodal

José Angel Bustamante ist Autor mehrere psychiatrischer Bücher, die heute noch in Kuba als Grundlagenwerke gelten. Er interessierte sich innerhalb der Psychoanalytischen Gruppe stark für die kulturalistische Richtung in der Psychoanalyse, die mit den Namen Erich Fromm, Karen Horney und Abram Kardiner verbunden ist. Aufgrund seiner internationalen Kontakte war er für die internationale Anerkennung der Gruppe zuständig und fädelte auch die Gespräche mit Ernest Jones als Ehrenpräsidentem der IPV ein.

Oscar Sagredo, ebenfalls Psychiater, war über lange Zeit Professor für Psychotherapie an der Schule für Psychologie der Universität von Santa Clara.

Acosta Nodal wurde später in Kuba und außerhalb (vor allem in Italien) bekannt wegen seines gruppendynamischen Konzeptes der Kinodebatte, einem speziellen gruppentherapeutischen Konzept, welches Filme als Impulse zur Gruppendiskussion nutzt (vgl. Acosta Nodal 1989).

Ein zweiter Schwerpunkt scheint sich damals am Instituto Nacional de Examen y Diagnósitico herausgebildet zu haben. Bei diesem Institut handelte es sich um eine private Einrichtung zur medizinischen Untersuchung und Diagnostik. José Gurry, psychoanalytisch ausgebildet in Boston und Mitglied der amerikanischen psychoanalytischen Gesellschaft, sammelte hier mehrere Mitstreiter um sich, darunter auch Psychologen und Sozialarbeiter. Auch an diesem Institut wurde Psychotherapien durchgeführt, welche von den Klienten in Abhängigkeit von ihrem Einkommen bezahlt wurden.

Der engste ausländische Kontakt bestand zu Leo Bartemeier aus den USA. Er fungierte inoffiziell als Pate der kubanischen psychoanalytischen Gruppe. Er reiste regelmäßig nach Kuba, gab Seminare und bot kontinuierliche Fallbesprechungen an. Durch seine Vermittlung kamen mehrere bekannte Psychoanalytiker nach Kuba, darunter auch René A. Spitz(2).

Als ersten Schritt auf dem Weg zur Gründung eines Psychoanalytischen Instituts wurde 1951 die Kubanische Gesellschaft für Psychotherapie gegründet. In dieser Gesellschaft waren zwar alle therapeutischen Schulen vertreten, aber die dominierende Tendenz war die psychoanalytische. Im Jahr 1951 wurden auch die ersten Schritte zur offiziellen Anerkennung der psychoanalytischen Bewegung in Kuba unternommen. Es fand ein Gespräch mit Ernest Jones, Ehrenpräsident der Internationalen psychoanalytischen Vereinigung, statt, in dem auf das große Interesse und die Notwendigkeit der Gründung eines psychoanalytischen Institutes in Kuba hingewiesen wurde. Man machte aber auch darauf aufmerksam, dass unter den gegebenen Bedingungen eines Entwicklungslandes, nicht so hohe Eingangsbedingungen an ein Psychoanalytisches Institut gestellt werden könnten, wie an ein Institut in den Industrieländern.

Ernest Jones muß in diesem Gespräch sein großes Verständnis für das Anliegen der kubanischen Gruppe geäußert haben und verwies sie zurück an Leo Bartemeier in Detroit. Im Jahr 1955 wurde die bisher informelle Gruppe in Kuba von der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung als Studiengruppe - der Vorstufe zur Gründung eines Psychoanalytischen Institutes - anerkannt. Im selben Jahr wurde eine Psychoanalytische Gesellschaft in Kuba gegründet. Die Statuten legten fest, dass die regulären Mitglieder die folgenden Bedingungen erfüllen müssen:

Wie ersichtlich waren die Aufnahmekriterien sehr streng. Sie scheinen Psychologen als Berufsgruppe von der Aufnahme so gut wie ausgeschlossen zu haben und den Schwerpunkt auf die Herkunft aus dem medizinischen Bereich zu legen.

Erster Präsident dieser Gesellschaft war Oscar Sagredo und erster Sekretär Carlos Acosta Nodal. Außer diesen beiden Personen umfasste die erste psychoanalytische Gesellschaft auf kubanischem Boden noch 11 weitere offizielle Mitglieder.

Vor 1959 vervielfältigten sich die wissenschaftlichen Aktivitäten der Gruppe und sie wurde wohlwollend in der Presse aufgenommen. 1961, zwei Jahre nach der Revolution, änderte sich die öffentliche Meinung. Die Zeitschrift der Studentenvereinigung verurteilte die Psychoanalyse als reaktionär und idealistisch. Die Zeitschrift „Revolution", offizielles Organ der kubanischen Regierung, schrieb 1964 mit Bezug auf einen Vortrag eines sowjetischen Psychiaters mit dem Titel „Der Kampf des dialektischen Materialismus gegen die Psychoanalyse": „Abgesehen von der falschen wissenschaftlichen Basis des Freudianismus, ist er in vielen Länder, besonders in den USA, zu einem der vorteilhaftesten Geschäfte geworden". An anderer Stelle hieß es mit Bezug auf die psychiatrischen Störungen: „Die herrschenden Klassen verpflichten uns darauf, die Lösung der Konflikte im Freudianismus zu finden und sie haben ihn in einen Mittel des Kampfes gegen das materialistische Verständnis des Lebens und die sozialistischen und kommunistischen Prinzipien verwandelt." Die Parteizeitung „Hoy" schrieb 1965: „Wie kann man bloß behaupten, dass eine Theorie revolutionär sei, die die Opposition des Individums gegen die Regierung durch den unbewussten Hass auf den Vater erklärt." Und an anderer Stelle: „Welchen revolutionären Inhalt kann solch eine irreale, absurde Theorie haben, die ein bloßes Produkt subjektiver Spekulationen ist."

Erst im Laufe der Jahre scheint die offizielle Haltung gegenüber der Psychoanalyse versöhnlicher geworden zu sein. So plädierte der kubanische Kulturminister anlässlich des dritten Treffens marxistischer Psychologen und Psychoanalytiker dafür, alle Höhepunkte des menschlichen Denkens mit großer Offenheit zu analysieren. Und er wies darauf hin, dass es notwendig sei, Freud zu studieren, ohne sein Werk vorzuverurteilen. Nur die Praxis und die im Material vorliegende Wahrheit solle das Urteil bestimmen.

Die politischen Ambivalenzen und Widersprüche gegenüber der Psychoanalyse lassen sich vielleicht am ehesten an einem Beispiel verdeutlichen. Ein solches Beispiel schildert Acosta Nodal in seinem bisher unveröffentlichten Manuskript über die Geschichte der Psychoanalyse in Kuba. Es handelt sich dabei um einen Streit rund um die Vereinigung der Abteilung für Psychiatrie und der Abteilung für medizinischen Psychologie zu einer gemeinsamen Abteilung an der medizinischen Fakultät der Universität von Havanna, in die auch die Psychoanalyse hineingezogen wurde. Aus bundesrepublikanischer Sicht mag es sich dabei um ein unbedeutsames Ereignis handeln, welches zudem vermutlich überlagert wurde durch persönliche Differenzen. Aber angesichts der Tatsache, dass der Lehrbetrieb in Kuba zur damaligen Zeit längst nicht so ausgebaut war, wie wir es von den Industrieländern kennen, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Schwerpunkt der psychoanalytischen Aktivitäten auf Havanna beschränkte und zudem die maßgebenden Gründungsmitgliedern der Psychoanalytischen Gesellschaft in diesen Streit verwickelt waren, mag ihm einige Bedeutung zu kommen.

Die medizinische Fakultät beschloss Anfang der 60er Jahre, alle Abteilungen, die jeweils nur aus einem Fach bestanden, zusammenzulegen. Da die Abteilungen für Psychiatrie und medizinische Psychologie jeweils nur aus einem Fach bestanden (mit dem gleichen Namen wie die Abteilungen) wurden auch diese Abteilungen zu einer einzigen zusammengelegt. Die früheren Chefs der Abteilungen wurden entlassen (José Angel Bustamente und José Galigarcía) und Acosta Nodal zum Chef der vereinigten Abteilung ernannt.

Rund um diese Vereinigung der Abteilungen entwickelte sich nun ein heftiger ideologischer Kampf, angeheizt durch die persönliche Interessen der Betroffenen. Das Lehrprogramm der vereinigten Abteilung unter der Leitung von Acosta Nodal wurde dabei außerordentlich stark wegen seiner psychoanalytischen Ausrichtung angegriffen.

Eine hochrangige Kommission, an der auch der Kulturminister, der Gesundheitsminister und der Rektor der Universität von La Habana teilnahmen, verkündete schließlich ein Urteil, welches recht gut die Grenzen der Akzeptanz der Psychoanalyse im revolutionären Kuba aufzeigt. Kategorisch wird in dem 1965 veröffentlichten Dokument u.a festgehalten:

„Alle Lehrinhalte müssen der Konzeption des dialektischen Materialismus entsprechen. Sie werden bereichert durch all die Beiträge, die die weltweiten konkreten Wissenschaften der Psychologie, Psychiatrie, Kybernetik, Biochemie, etc. liefern können."

„Die Psychoanalyse muß aus der Sicht des dialektischen Materialismus als idealistische Theorie bezeichnet werden. Nicht desto trotz liefert diese Theorie wichtige klinische Beiträge, die in der psychiatrischen und psychologischen Lehre genutzt werden können und sollen, ohne damit die Reinheit des marxistischen Denkens zu beeinträchtigen."

Im Schlussteil dieses Dokumentes wird festgehalten, dass auch die Lehrtexte, „die nicht unserem wissenschaftlichen Urteil entsprechen, benutzt werden können mit der kritischen Einstellung, über den diese Erklärung informiert".

Der Streit um die Vereinigung der beiden Abteilungen führte nach der Einschätzung von Acosta Nodal zu einer Verhärtung der marxistischen Tendenzen und zu einer solchen Verunsicherung in den eigenen Reihen, dass sich die psychoanalytische Gruppe langsam auflöste. Vielleicht war auch mitentscheidend, dass Bustamante, einer der Mitbegründer und einer der wichtigsten Organisatoren der Gruppe sich zunehmend von der Psychoanalyse distanzierte und Freud immer häufiger in den unmittelbaren Zusammenhang mit Schopenhauer und Nietzsche stellte, die er als die Reaktionärsten unter den Reaktionäre bezeichnete.

Acosta Nodal erklärt sich diesen Wandel ausschließlich persönlich: Er meint, Bustamante habe um seine Anerkennung als medizinischer Führer der Linken gefürchtet und sehr frühzeitig gesehen, dass sich innerhalb der revolutionären Bewegung die Kommunisten durchsetzen würden. Er habe sich dann deren antipsychoanalytischer Haltung angepasst.

Die anderen Mitglieder der psychoanalytischen Studiengruppe verloren entweder ganz ihr Interesse an der Psychoanalyse oder hielten zwar innerlich an ihr fest, gaben aber den (äußeren) Kampf verloren. Andere gerieten mit verschiedenen Parteigliederungen in so viele Schwierigkeiten, dass sie schließlich aufgaben. Die Generation nach der Gründergeneration schließlich wollte sich durch die Beschäftigung mit Freud und seinen Nachfolger nicht kompromitieren, insbesondere um ihre hohen Positionen, die sie mittlerweile erreicht hatten, nicht zu gefährden.

Die Gründungsmitglieder, die noch nach 1959 für die Psychoanalyse fochten, traten nie in die Partei ein. Sie erhielten auch nicht jene Anerkennung für ihre Arbeit, die unter den Interlektuellen jener Epoche die begehrteste war: Sie reisten nie zu Konferenzen, Kongressen oder Kursen ins Ausland. Sie wurden aber auch nie diskriminiert oder in ihren Rechten eingeschränkt.

Acosta Nodal gab weiter Fallseminare. Es war kein Geheimniss, dass er die Psychotherapiefälle in seinem Seminar vor psychoanalytischem Hintergrund supervidierte. 1980 wurde er zu seinem Vorgesetzten zitiert. Ihm wurde vorgeworfen, dass er Psychoanalyse unterrichte, was gegen die marxistisch-leninistischen Prinzipien der Revolution verstoße. Eine Kommission sprach ihn von allen Vorwürfen frei. Acosta Nodal unterrichtete weiter und verteidigte die Psychoanalyse auf allen Konferenzen und Tagungen. Aber Vorfälle, wie der obige, mögen dazu geführt haben, dass sich die Studenten von psychoanalytischen Thesen fern hielten.

In seiner Geschichte der Psychoanalyse in Kuba erklärt sich Acosta Nodal den Niedergang und das langsame Verlöschen der Psychoanalyse in Kuba ausschließlich durch das Handeln oder nicht Handeln der an dieser Geschichte beteiligten Personen. Auch wenn man diesen Geschichtsansatz nicht teilt, so bleibt sein Manusskript doch von hohem Wert: Zum einen stellt es eine der wenigen schriftlichen Quellen zur Psychoanalyse in Kuba dar. Zum anderen macht es deutlich, wie sich Tendenzen, die an anderer Stelle entschieden wurden, über das Handeln von Personen in einem schleichenden Anpassungsprozess letztendlich durchsetzten, ohne das dabei zu Zwangsmaßnahmen oder offener staatlicher Repression gegriffen werden musste.

Internationale Anerkennung erntete Acosta Nodal dann doch noch. Und zwar auf dem IV. Internationalen Treffen der marxistischen Psychologen und Psychoanalytiker 1992, auf dem er die Geschichte der psychoanalytischen Bewegung - Integration und Desintergration einer Gruppe - einem größeren Publikum vorstellen konnte.

Die hier geschilderten psychoanalytischen Einzelaktivitäten dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass mit der Entscheidung von 1965, die Aktivitäten der ersten psychoanalytischen Studiengruppe in Kuba zum erliegen kamen.

Heute ist die Psychoanalyse in einem nennenswerten organisatorischen Rahmen in Kuba nicht mehr präsent. Allerdings zeichnen sich erste zaghafte Versuche der Neuorganisation ab: Seit ca. 1989 gibt es eine Studiengruppe zur Psychoanalyse, die auch eine eigene Ambulanz unterhält. Sie ist schwerpunktmäßig an Lacan orientiert. Eine zweite Gruppe soll es innerhalb des Berufsverbandes der kubanischen Psychologen geben. Gelegentlich besuchen ausländische Psychoanalytiker Kuba. So hat die Ambulanz der Psychologischen Fakultät der Universität von Havanna Kontakte nach Costa Rica. Gelegentlich halten ausländische Psychoanalytiker auch Vorträge auf internationalen Kongressen oder gestalten unabhängig davon kleinere Vortragsreihen. In Santa Klara wird im Mai diesen Jahres ein Kongress zum Thema Psychotherapie und Psychoanalyse stattfinden. Was allerdings fehlt ist die Kontinuität der Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, sowie ein eigenes System von Seminaren und Lehrtherapien. Vielleicht liegt in dieser Situation des zaghaften Aufkeimens aber auch ein großer Vorteil. So könnte man es zumindest nach Art der kubanischer Alltagsmanier sehen, die noch jedem schlechten Umstand eine positive Wendung abgewinnen kann. Vielleicht liegt in der Unabhängigkeit und Unorganisiertheit der psychoanalytischen Regungen in Kuba auch die große Chance, dass sich in Kuba ein psychoanalytischer Ansatz herausbildet, der sich unabhängig von den großen Vorbildern die Fragen stellt, die in den frühen Anfängen gar nie gestellt worden zu sein scheinen: Was könnte der psychoanalytische Ansatz in Kuba den Menschen in den Umständen, in denen sie leben, bieten? Was könnte er leisten? Wie müßte er hier aussehen? Wie müsste er sich hier entwickeln? Sich diesen Fragen zu stellen, ohne dabei auf die nordamerikanischen oder europäischen Vorbilder zurückzugreifen, aber auch ohne in den antiamerikanischen oder antieuropäischen Reflex zu verfallen, das wäre eine große Herausforderung. Zugegeben, die Chancen der Verwirklichung dazu stehen schlecht. Und es mag sich um einen Traum handeln. Aber wenn eines die kubanische Geschichte im allgemeinen, die Geschichte der psychoanalytischen Bewegung in Kuba im besonderen und vor allen Dingen das tägliche Leben der Menschen in Kuba lehrt, dann ist es dies: Geträumt werden darf. Und wie wichtig das Trämen ist, darauf wies nicht zuletzt die Freudsche Analyse hin.

Endnoten:

1. Vgl. die bibliograpischen Angaben unter ihrem eigenen Namen bei De la Torre Molina ( 1995), S. 114 und die bibliographischen Angaben bei Zaldívar Pérez (1998), S. 355.

2. Eine Fallgeschichte von Acosta Nodal verarbeitete René A. Spitz in seinem Aufsatz „The Primal Cavity. A Contribution to the Genesis of Perception" (Spitz 1955). Die Fallbeschreibung befindet sich auf Seite 227.

Literaturverzeichnis:

Acosta Nodal, Carlos R. (1989): Cinedebate Terapeutico III. In: Revista del Hospital Psiquiatrico de la Habana, S. 595-610.

Acosta Nodal, Carlos R. (o.J.): Historia del movimiento psicoanalitico cubano. Unveröffentlichtes Manusskript, 26 Seiten.

Torre Molina, Carolina de la (1995): Psicología latinoamericana: entre la dependencia y identidad. San Juan, Puerto Rico: Publicaciones Puertorriqueñas.

Spitz, René A. (1955). The Primal Cavity: A Contribution to the Genesis of Perception. In: The Psychoanalytic Study of the Child, 10, 215-40.

Stubbe, Hannes (1995): Wichtige Ereignisse in der Geschichte der Psychologie in Lateinamerika. In: Kölner Beiträge zur Ethnopsychologie und transkulturellen Psychologie, Jg. 1, 1995, S. 99-149.

Stubbe, Hannes (1997): Sigmund Freud in den Tropen. Zur Frühgeschichte der Psychoanalyse in Brasilien. In: Kölner Beiträge zur Ethnopsychologie und Transkulturellen Psychologie, Jg. 3, 1997, vollständiger Band.

Zaldívar Pérez, Dionisio F.(1998): Teoría y práctica de la Psicoterapia. Ciudad La Habana: Editorial Felix Varela.


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