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"Die beste Konferenz die ich je besucht habe": Die 4. Internationale Werkstatt für Psychologie in Santiago de Cuba, 13.–16. November 2001

von

Adrian Brock University College Dublin

Die Website, "Psychologie in Cuba" (www.cubapsychologie.de) hatte mich ursprünglich auf diese Konferenz aufmerksam gemacht. In der Ankündigung hieß es, dass interessierte Personen bis zum 31.7.2001 eine Zusammenfassung ihres Vortrages an die Universidad de Oriente in Santiago de Cuba senden sollten. Ich sandte die Zusammenfassung meines Vortrages mit der Post und per e-mail Mitte Juli an die Universität und wartete auf eine Antwort. Ich wartete die Monate August und September und die erste Hälfte des Monates Oktober. Es waren nur noch 4 Wochen bis zum Beginn der Konferenz und ich hatte noch keine Antwort bekommen. Ein Freund schlug mir hilfreich vor, die Konferenz sie vielleicht ausgefallen. Ich entschied mich deshalb, eine e-mail an die Universidad de Oriente zu senden, um zu fragen, ob die Konferenz noch stattfinde und ob meine Zusammenfassung angenommen worden sei. Ich bekam einige Tage später eine Antwort: Meine Zusammenfassung sei angekommen und der Vortrag sei angenommen worden. Warum es drei Monate gedauert hat, mir das zu sagen und nur als Antwort auf eine Frage, fand ich schwer zu verstehen.

Zumindest konnte ich mir jetzt die Flugkarten kaufen und anfangen meinen Vortrag für die Konferenz zu schreiben. Ich hatte gar keine Vorstellung, was für ein Vortrag erwartet wurde – 20 Minuten, 30 Minuten, 45 Minuten, eine Stunde? Ich mußte deshalb noch eine e-mail an die Universidad de Oriente senden, um das herauszufinden. Einige Tage später bekam ich eine Antwort, die besagte, für die Vorträge seien "10 bis15 Minuten" vorgesehen. Wenn dies wirklich der Fall wäre, dann würde es einen neuen Rekord aufstellen für den kürzesten Konferenzvortrag, den ich jemals gehalten habe. Es schien mir eine lange Reise von Dublin nach Santiago de Cuba zu sein, um einen Vortrag von "10 bis 15 Minuten" zu halten.

Bei jeder anderer Konferenz, die ich besucht habe, bekam ich ein Konferenz-Programm mit der Post vorab zugesandt, mit Information über Registrationskosten, alle zusätzlichen Ereignisse, die organisiert werden und was diese kosten, ob Essen und/oder Unterkunft zur Verfügung gestellt wird, Hinweise wie man den Konferenzort findet und anderes mehr. Da ich fragen mußte, ob meine Zusammenfassung angenommen worden war, wird es wahrscheinlich keine Überraschung sein, wenn ich sage, dass Information dieser Art nicht versandt wurden. Als ich am 10. November nach Havanna flog, wusste ich fast nichts über die Konferenz, die ich bald besuchen würde. Ich wusste zum Beispiel nicht, wie groß die Konferenz sein würde und ob dies eine Auswirkung auf der Verfügbarkeit von Unterkünften in Santiago haben würde. Ich entschied mich deshalb, sofort nach meiner Ankunft in Havanna nach Santiago zu reisen, nur um sicher zu sein, daß ich noch eine Unterkunft erhalten würde. Es gab in der Tat gar keine Probleme eine Unterkunft in Santiago zu finden. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nur, dass die Konferenz vom 13.-16. November stattfinden würde, aber ich hatte noch gar keine Idee, wann und wo die Konferenz beginnen sollte. Deshalb ging ich am 12. November zur Psychologischen Abteilung der Universidad de Oriente, um das herausfinden. An der Rezeption sagte man mir, daß es sehr unwahrscheinlich sei, daß ich jemand von der Konferenz fände, aber ich ignorierte das und ging weiter. Ich traf schließlich jemanden, die mit der Konferenz zu tun haben schien, und sie erzählte mir hilfreich, dass das Konferenzprogramm morgen am Konferenzort zur Verfügung stände. Ich erzählte ihr, dass sei in Ordnung, aber ich müsste noch wissen, wann und wo die Konferenz beginne, um das Konferenzprogramm zu bekommen! Zu meiner Überraschung, akzeptierte sie dieses Argument und teilte mir mit, dass ich am nächsten Tag um 8.30 auf der "Plaza de la Revolución" sein solle. Ich war ein bisschen überrascht, dass wir uns auf einem Platz treffen würden, aber sie versicherte mir, dass sein kein Problem und ich würde die Leute von der Konferenz schon finden.

Ich fand mich am nächsten Tag um 8.30 auf dem Platz ein und hielt verzweifelt Ausschau nach jemanden, der mit der Konferenz zu tun haben könnte. Ich sah keine wahrscheinlichen Kandidaten und so entschied ich mich, um den Platz herum zu laufen. Ich sah keine Leute von der Konferenz und entschied mich, noch einmal um den Platz herum zu laufen. An einem Punkt bemerkte ich eine Tür unter dem Denkmal in der Mitte des Platzes mit einer Sicherheitswache vor dieser Tür. Ich entschied mich, die Sicherheitswache zu fragen, ob sie wisse, wo die Konferenz sein könnte. Als ich mich näherte, sah ich, dass es hinter der Tür einen großen Saal gab, mit Leuten, die herumliefen. Könnte dies die Konferenz sein? Ich ging hinein und die erste Person, die ich fragte, erzählte mir, daß dies sehr wohl die Psychologie-Konferenz sei. Ich wurde zu einer großen Schlange geleitet und man teilte mir mit, dass ich mich hier registrieren lassen solle.

Als ich in der Schlange stand, kam eine Gruppe verwirrt aussehender Deutsche zu mir und fragte mich, ob dies die Psychologie-Knferenz sei. Ich sagte ihnen "ja", und dass sie sich in die Schlange einreihen sollten. Wir hatten so eine Gelegenheit, unsere bisherigen Erfahrungen zu vergleichen. Es war ihnen so wie mir ergangen: Keiner von ihnen hatte irgendwelche Information vor der Konferenz bekommen und so wie ich waren sie am vorherigen Tag zur Universität gelaufen, um herausfinden, wann und wo die Konferenz anfangen würde, und genauso wie ich waren sie mehrmals um die "Plaza de la Revolución" gelaufen, um den Ort zu finden. Es ist beruhigend solche Erfahrungen aus zu tauschen. Aus irgendeinem Grund hilft es zu wissen, dass unsere Erfahrungen nicht einzigartig sind.

Die Registrierung kostete US$120 in bar. Einige Mitglieder der deutschen Gruppen waren darauf nicht vorbereitet (keiner hatte uns vorher gesagt, was die Registrierung kosten würde) und einer von ihnen musste ein Taxi zurück zu seinem Hotel nehmen, um mehr Geld zu holen. Wir warteten 1 1/2 Stunden in der Schlange. Gerade als ich den Schreibtisch erreichte, wurde angekündigt, dass die Konferenz bald beginne und die Registrierung nachher fortgesetzt würde. Auch gut! Die 1 1/2 Stunden in der Schlage waren eine angenehme Zeit gewesen.

Die Eröffnung der Konferenz war ein Erlebnis. Es gab einen langen Tisch an der Vorderseite des Saales, an dem ungefähr zehn Mitgliedern des Konferenzkommittee saßen. Die Konferenz begann mit der kubanischen Nationalhymne, für die jeder aufstand. Dann wurde jede Person an dem Tisch vorgestellt und jede bekam eine Runde Beifall. Dann wurden mehrere Personen aus dem Publikums vorgestellt und wieder bekam jede eine Runde Beifall. Dann wurde die Liste der 40 Teilnehmerländer vorgelesen und jedes bekam eine Runde Beifall, obwohl die Hände zu diesem Zeitpunkt schon sehr müde waren und der Beifall gegen Ende in einen Schrei von "Oi!" degenerierte.

Jemand sagte etwas von einem "parte cultural" (kulturellen Teil) und plötzlich erschienen vier Männern mit Saxophonen und spielten drei rhythmische Melodien. Sie erhielten stürmischen Beifall. Es folgte klassische Gitarrenmusik und bald darauf stimmte ein zweiter Gitarristen in das Spiel des ersten Gitarristen ein und beide begannen, traditionelle kubanische Lieder zu singen. Es war eine Augenweide zu sehen, wie die Mitglieder des Konferenzkommittee in die Hände klatschten und wie sie sich rhythmisch im Takte der Musik bewegten. Es hätte mich nicht gewundert, wenn einige der Teilnehmer aufgestanden wären um zu tanzen, aber dies geschah nicht, zumindest nicht in diesem Moment.

Die Konferenz selbst begann mit einer Diskussion am runden Tisch zum Thema Globalisierung mit Teilnehmern aus Kuba, Argentinien und Brasilien. Ich bin nicht geblieben, weil ich zurück zur Registrierungsschlange mußte. Glücklicherweise gelang es mir dieses Mal, die Registrierung in einer vernünftigen Zeit zu schaffen. Ich war dann so müde vom Warten in der Schlange, dass ich mich entschied, nicht wieder zur Sitzung zu gehen, sondern statt dessen den Platz, das Konferenz-Zentrum, wo wir uns den nächsten Tag treffen sollten, und die Universidad de Oriente zu entdecken. Die Sitzung hätte um 11.00 enden sollen, aber sie ging bis 13.30. Für viele Leute war dies ein besonderes Problem, da sich die einzigen Toiletten in dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite befanden. Es gab einen wahnsinnigen Sturm aus dem Saal, sobald die Sitzung endete, was natürlich das Gegenteil von dem ist, was gewöhnlich geschieht, wenn Sitzungen enden.

Die Konferenz sollte nachmittags im "Museo de la Lucha Clandestina" (Museum des geheimen Kampfes) um 14.30 weitergehen. Ich war völlig naiv an diesem Punkt und kam an dem Museum tatsächlich um 14.30 an. Keiner von der Konferenz war da und so wartete ich. Glücklicherweise hatte ich eine Zeitung bei mir und ich fing an zu lesen. Ich hörte um 15.00 Uhr auf zu lesen (die Zeitungen in Kuba sind sehr dünn – was mit dem Papiermangel zu tun hat). Eine brasilianische Frau, die mit der Konferenz zu tun hatte, kam und ich mußte ihr versichern, dass sie am richtigen Ort war. Was war jetzt zu tun? Das Museum sah ziemlich interessant aus und so entschied ich mich, herumzuschauen. Um 15.30 es gab noch kein Spur der Konferenz und so entschied ich mich, spazieren zu gehen. Ich kam um 16.00 zurück, gerade als der Bus mit der Hauptgruppe von Kubanern ankam. Die Nachmittags-Sitzung kam schließlich um 16.15 in Gang.

Der nächste Teil der Konferenz war eine Freude. Er begann mit einem kleinen Mädchen in altmodischen Kostüm. Sie hielt eine Willkommensrede, die sie offensichtlicht auswendig gelernt hatte. Sie erinnerte mich an Shirley Temple aus den alten Hollywood-Filme. Dann bekamen wir einen Vortrag zu hören über die freiwillige Sozialarbeit, die von den Großmüttern des Stadtviertels geleistet wird. Deren Arbeit beinhaltet zum Beispiel die Beratung von und die Hilfe für junge alleinstehende Mütter. Am Ende des Vortrages stand die ganze Gruppe der Großmüttern auf und skandierte unisono ihre Slogans. Danach sangen sie ihr Kampagnen-Lied und stießen dabei die Fäuste in die Luft. Jeder im Publikum fand diese Gruppe radikaler und militanter Grossmütter bezaubernd!

Es folgten zwei Vorträge über Gemeindepsychologie. Der Erste wurde von der brasilianischen Frau gehalten, der ich vorher versichert hatte, dass sie am richtigen Ort sei. Sie hieß Elsa Francisca Cunha. Ich bin umfangreich in Lateinamerika einschließlich Brasilien gereist und ich habe noch nie einen Brasilianer getroffen, der Spanisch sprechen konnte. Dies ist ganz erstaunlich, bedenkt man die Ähnlichkeit der spanischen und portugiesischen Sprache. Die Sprecherin war keine Ausnahme von der Regel. Sie hielt ihren Vortrag in Portugiesisch und es war klar, daß die Kubaner große Schwierigkeiten hatten, sie zu verstehen. Das war sehr bedauerlich, weil sie über sehr interessante Forschungen sprach, die sie und ihre Kollegen in den Elendsvierteln von Rio de Janeiro durchführten. Es folgte der Vortrag einer kubanischen Gemeindepsychologin, die sehr ähnliche Forschungen in einer Kleinstadt in Kuba durchführt.

Zurück zum "parte cultural". Kaum verließen wir das Museum sahen wir eine Gruppe junger Kinder in traditionellen Kleidern, die traditionelle kubanische Tänze in der Straße für uns aufführten. Der nächste Teil der Konferenz war ein Spaziergang durch das Stadtviertel von El Tivoli, welches von französischen Siedlern aus Haiti gegründet worden war, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach dem erfolgreichen Sklaven-Aufstand in Haiti nach Kuba mit ihren Sklaven kamen. Die Kinder begleiteten uns auf diesem Spaziergang und führten mehrere traditionelle Tänze auf dem Weg auf. Aus irgendeinem Grund, schloss unsere Tour die Werkstätten örtlicher Künstler ein, die eine Menge Bilder zum Verkauf anboten, und unser Universitätsführer stellte sicher, dass wir alle ihre Geschäftskarten bekamen.

Dem Spaziergang folgte ein Empfang am "Balcón de Velasquez" im gleichen Stadtviertel. Der Balcón de Velasquez bietet eine atemberaubende Aussicht auf die Küste und die Berge von Santiago de Cuba. Es gab ein Büffet, kaltes Bier und noch eine musikalische Gruppe. Ich begann, mich an dieser Stelle zu fragen, ob ich an diesem Tag mehr Zeit damit verbracht hatte Konferenzvorträge oder Musik zu hören. Es war schwer zu entscheiden, aber ich war sicher, dass die Kubaner ihre Prioritäten richtig gesetzt hatten. Ich sagte zu einem der Deutschen, den ich in der Registrierungsschlange kennengelernt hatte, dass dies die beste Konferenz sei, die ich je besucht hätte.

Die Konferenzvorträge begannen am nächsten Tag um 9.00 in dem sehr modernen Kongresszentrum neben der "Plaza de la Revolución". Es gab fünf Sitzungen, die gleichzeitig liefen und die Organisation der Sitzungen schien nicht sehr viel Logik zu haben. Mein Vortrag war in einer dieser fünf Sitzungen und so war meine Entscheidung schon getroffen worden. Ich hielt meinen Vortrag in Englisch und es wurde schnell klar, dass die überwiegende Mehrheit des Publikums kein Wort verstand. Ich hätte einen Vortrag in Spanisch vorbereiten können, wenn ich das gewusst hätte, aber dies war meine erste Konferenz außerhalb von Europa und Nordamerika und Englisch war vorher bei internationalen Konferenzen nie ein Problem gewesen. Es hatte etwas in der Ankündigung der Konferenz gestanden von Übersetzungen in Englisch und Französisch, aber wenn sie existierten, war das an mir vorbeigegangen. Die Tatsache, dass kaum jemand im Publikum verstand, was ich sagte, mag der Grund gewesen sein, warum der Diskussionsleiter darauf beharrte, dass ich mich streng an die Höchstgrenze von 15 Minuten hielt. Bei den kubanischen Teilnehmer geschah dies nicht.

Wie in den anderen Sitzungen auch, war die Abfolge der Vorträge nicht logisch. Meinem Vortrag über die Geschichte der Psychologie folgte der Vortrag einer Amerikanerin über Terrorismus und natürlichen Katastrophen. Diesem wiederum folgten noch zwei Voträge von Kubanern über Gemeindepsychologie. Etwas überraschend war, bedenkt man, dass für jeden Vortrag nur 15 Minuten vorgesehen waren, dass die anschließende "Diskussion" eine volle Stunde dauerte. Dieser Teil der Sitzung wurde von einer Argentinierin, einer Venezolanerin und einem Chilenen dominiert. Sie alle schienen den Klang ihrer eigenen Stimmen zu genießen. Sie sprachen über die großen Fragen unserer Zeit: Krieg, soziale Gerechtigkeit, Umweltverschmutzung, Korruption und andere politische Themen. Ich konnte mir nicht helfen mich zu fragen, was diese "Diskussion" mit den Vorträge, die gerade gehalten worden waren oder sogar mit der Psychologie im allgemeinem zu tun haben sollte, aber dies mag ein interkulturelles Missverständnis meinerseits gewesen sein.

Nach der Pause um 11.00 entschied ich mich, zu einem Vortrag über Kulturvergleichende Forschung von Barry Schneider von der Universität von Ottawa in Kanada und Maria del Pilar, der Leiterin der psychologischen Abteilung der Universidad de Oriente, zu gehen. Beide hatten die Forschungen zusammen durchgeführt. Es wird wahrscheinlich keine Überraschung sein, wenn ich berichte, dass die Sitzung zwei Stunden später anfing. Diese zwei Stunden boten den Zuhörern die Gelegenheit, sich einander besser kennen zu lernen. Die Forschung untersuchte Wettbewerb und Kooperation unter Jugendlichen in Kanada, Kuba und Costa Rica. Vielleicht war das überaschendste an den Forschungsergebnissen, wie wenig Unterschiede es zwischen den Jugendlichen aus den genannten Ländern gab.

Es gab eine seltsame Art von "Apartheid" betreffs der Transportmöglichkeiten. Am Ende jeder Morgensitzung wartete ein moderner, vollklimatisierter Bus auf die ausländische Besucher, um sie zurück zu ihren Hotels zum Mittagessen zu bringen, während die Kubaner zum Mittagessen in einem zerbeulten alten Bus losfuhren. Dies ist eine Widerspiegelung der Gesellschaft im allgemeinen, in der jeder mit US-Dollars ein privilegiertes Leben führen kann, im Gegensatz zu jenen, die nur über kubanische Pesos verfügen. Ich war nicht nach Kuba gekommen, um die Kubaner zu meiden, und so entschied ich mich, mit dem kubanischen Bus zu fahren. Es würde sicherlich interessanter sein und ich könnte die Wartezeit von bis zu zwei Stunden vor der Nachmittagsitzung vermeiden, weil ich in dem Bus sein würde, auf den alle warteten!

Wir sollten zum Mittagessen in ein Restaurant für Staatsangehörige (d.h. in kubanischen Pesos) gehen. Dann käme die Nachmittagsitzung in der "Escuela Vocacional de Arte" (Berufschule der Künste), die um 14.30 beginnen sollte. Es stellte sich heraus, dass unser Restaurant 10 Minuten vor unserer Ankunft geschlossen hatte. Nach einer großen Diskussion gelang es uns, das Personal zu überzeugen, für uns wieder zu öffnen, aber nur unter der Bedingung, daß wir alle Hackfleisch und Reis essen und 30 Minuten warten würden. Die 30 Minuten waren in der Tat mehr wie eine Stunde und es war 16.15, als wir schließlich an der "Escuela Vocacional" für unsere 14.30 Sitzung ankamen. Aber der beste Teil kommt noch: Als wir eintrafen, sagte die Direktorin der Schule, dass sie uns für den nächsten Tag erwartet habe und dass nichts vorbereitet sei! Als wir das hörten, entschieden wir, nach Hause zu gehen. Eine der Professorinnen der Universidad de Oriente, Bertha Martinez, reiste in die gleiche Richtung wie ich und führte mich in die Kompliziertheiten des kubanischen öffentlichen Nahverkehrs ein. Noch einmal war es ein wunderschöner Tag gewesen.

Aber es sollte noch besser kommen. Wir hatten einen ganzen Tag ohne Musik, Singen oder Tanzen erlebt, obwohl das hauptsächlich am Missverständnisses mit der Schule lag. Eindeutig mußte diese Situation korrigiert werden. Und sie wurde korrigiert am Abend in einem großen Saal unter dem Kongress-Zentrum mit noch einem Büffet und einer Musikgruppe. Ich ging für eine Stunde mit und es schien mir, als seien fast alle Teilnehmer Kubaner.

Der dritte Tag begann in der gleichen Art mit fünf Sitzungen, die gleichzeitig im Kongresszentrum stattfanden und es war schwierig, eine Auswahl zu treffen. Einer meiner neuen kubanischen Freunde wollte einen Vortrag über die Ausbildung von Psychotherapeuten in Schweden hören und so ging ich mit. Die Geschichte, wie Psychotherapeuten in Schweden ausgebildet werden, war nicht der interessanteste Teil des Vortrages. Die schwedische Sprecherin begann auf Spanisch aber man merkte, dass es ihr viel Mühe kostete. Ein kubanischer Professor im Publikum unterbrach den Vortrag, um darauf zu bestehen, daß sie Englisch spreche und dann stieß er ein erschrocken aussehendes junges Mädchen nach vorne. Sie sollte die Dolmetscherin sein. Das Mädchen war eine Englisch-Studentin der Universidad de Oriente und es wurde schnell deutlich, daß sie den Vortrag nicht übersetzen konnte. Der kubanische Professor entschied sich, statt dessen selbst den Vortrag zu übersetzen. Er blieb aber seltsamerweise an seinem Sitzplatz. Als er in Schwierigkeiten kam, stand ein chilenisches Mitglied des Publikum auf und übernahm die Übersetzung. Dann folgte ein bizarre Diskussion zwischen einem argentinischen Mitglied des Publikum und dem selbsternannten chilenischen Dolmetscher, während die arme schwedische Sprecherin überflüssig wurde. An diesen Punkt sah ich ein, dass es ein großes Glück gewesen war, dass niemand versucht hatte, für mich am vorherigen Tag zu übersetzen!

Es gab zwei Amerikaner auf der Konferenz, Scott Minor und Chuck Cross, die kaum Spanisch sprachen und sie sprachen mich oft an, weil ich einer der wenigen Teilnehmer aus einem englischsprachigen Land war. Sie sollten einen Vortrag über die Ausbildung von Fachlehrer für geistigbehinderte Schüler in Jamaika halten und aus Freundlichkeit entschied ich mich hinzugehen. Das Problem war, dass sie laut Programm von 9.40 bis 9.55 in Zimmer 3 und auch von 10.00 bis 10.15 in Zimmer 5 vortragen sollten. Vorausgesetzt, dass die Sitzungen normalerweise zwei Stunden später anfangen würden, begann mich die Frage zu fesseln, wie sie sich von einem Zimmer zum anderen mit solcher Genauigkeit bewegen würden können. Ich entschied mich, auf den Vortrag um 10.00 in Zimmer 5 zu warten. Es stellte ich heraus, dass es keine zwei Vorträge waren, sondern es sich um einen Vortrag und ein Poster handelte. Es war nichts anderes als ein Fehler im Programm. Noch schlimmer, der "Vortrag" auf denen ich wartete, war nicht der Vortrag sondern der Fehler. Sie haben tatsächlich in Zimmer 3 gesprochen!

Es gab noch andere Probleme mit dem Konferenzprogramm. Ich dachte, dass es bedauerlich sei von Dublin nach Santiago de Cuba zu reisen wegen eines Vortrages von 10 bis 15 Minuten, aber ein deutscher Teilnehmer, den ich in der Registrationsschlange kennen gelernt hatte, erzählte mir, dass er seinen Vortrag wegen eines Programmierungsfehlers gar nicht halten konnte, und er war in dieser Hinsicht nicht allein. Auch die Kubanern und Argentinier, die am vorigen Tag in der "Escuela Vocacional de Arte" ihre Vorträge halten sollten, konnten diese nicht halten.

Ich hatte eine sehr gute Zeit in dem alten zerbeulten kubanischen Bus am vorigen Tag gehabt und ich entschied mich, ihn wieder zu nehmen. Dieses mal gelang es uns, das Restaurant zu erreichen, bevor es schloss. Die offizielle Nachmittagsitzung war in der "Escuela de Formación de Trabajadores Sociales" (Ausbildungsschule für Sozialarbeiter), aber Bertha Martinez versuchte eine "Splittergruppe" zu organisieren, die zur "Escuela Vocacional de Arte" zurückgehen sollte. Die Kinder in der Schule hatten eine Vorstellung vorbereitet und auch wenn es ein Tag zu spät war, wäre es peinlich gewesen, wenn niemand gekommen wäre. Teilweise aus Neugierde auf das, was ich am vorigen Tag versäumt hatte und teilweise aus Achtung vor Bertha, entschied ich mich, an dieser Splittergruppe teil zu nehmen. Die Kinder gaben eine hervorragende Vorstellung in Musik, Singen und Tanzen. Sie waren alle sehr begabt und gut ausgebildet. Nach der Vorstellung gingen wir in die Bibliothek der Schule, um eine "offene" Diskussion zu halten; hauptsächlich wohl , so schien es, weil keiner der Sprecher vom vorigen Tag gekommen war. Vielleicht waren sie über die Veränderung des Programms nicht informiert worden. Vielleicht waren sie informiert worden, konnten aber nicht kommen. Wir saßen in einem Kreis und sollten uns nacheinander vorstellen, fast so wie in einer Therapiegruppe. Die Unterhaltung war künstlich und nicht sehr interessant. Ich musste auch für zwei Deutsche, die nur Grundkenntnisse in Spanisch hatten, alles übersetzen. Ich denke wir alle waren erleichtert, als der Bus wieder kam, um uns zurück in die Stadt zu bringen.

Ein zusätzliches Ereignis wurde am Abend angeboten: ein traditionelles kubanisches Kabarett in einem Ressort außerhalb von Santiago mit dem Namen, "San Pedro del Mar". Es wurde mir gesagt, dass ich im zentralen Park von Santiago, dem "Parque Céspedes" um 21.00 auf dem Bus warten sollte. Ich kam pünktlich, obwohl ich sehr überrascht gewesen wäre, wenn der Bus auch pünktlich gekommen wäre. Um 21.30 entdeckte ich eine Gruppe Konferenzteilnehmer im "Parque" und wir unterhielten uns, bis der Bus schließlich um 22.15 erschien. Kabaretts sind nicht meine Sache, aber man sollte mindestens einmal ein kubanisches Kabarett sehen. Zu meiner Überraschung hat es viel Spaß gemacht. Eine meiner Nachbarinnen war insbesondere von einem spärlich bekleidetem Tänzer begeistert, der einen Hut und einen Stock genau wie der Papst hatte. Einer der Sänger gab eine rührende spanische Version des alten Liedes von Frank Sinatra, "My Way" ("A mi manera"). Vielleicht war die Hauptattraktion des Kabaretts ein dicker Sänger mittleren Alters, der genau so gewandt wie Michael Jackson tanzte. Er genoss sich eindeutig, besonders wenn das Publikum begann, ihn zu ermuntern. Das Kabarett dauerte zwei volle Stunde und es gab einige sehr müde Leute, die auf die Busse auf dem Parkplatz um 1.15 warteten.

Der letzte Tag der Konferenz bestand hauptsächlich aus Schlussreden. Eine potentielle interessante Runde-Tisch-Diskussion, die von Marcus Vinicius de Oliveira Silva aus Brasilien geführt werden sollte, mit dem Titel, "Lateinamerikanismus als erkenntnistheoretische Perspektive in der Psychologie" war für die erste Stunde geplant. Maria del Pilar er öffnete diese Sitzung mit der Ankündigung, daß Marcus Vinicius de Oliveira Silva nicht kommen konnte und statt dessen sollten wir eine "offene" Diskussion führen. An diesem Punkt fing ich an, mich an diese "offenen" Diskussionen zu gewöhnen. Die Diskussion bestand hauptsächlich aus verschiedenen Leuten, die Maria del Pilar danken wollten für die wunderbare Zeit, die sie bei der Konferenz gehabt hatten. Die brasilianische Frau, die an dem ersten Tag der Konferenz gesprochen hatte, stand auf und sagte, daß die Kubaner uns alle eine Unterricht in menschlicher Wärme erteilen könnten und erhielt dafür eine kräftigen Applaus. Dann kam der "parte cultural". Das bedeutete selbstverständlich mehr Musik und Singen. Der Höhepunkt war zweifellos ein Chor, der traditionelle kubanische Lieder ohne musikalische Begleitung sang. Mich überraschte insbesondere der Rhythmus, den unbegleitete menschliche Stimmen erzeugen können. Dann gingen wir nach San Pedro del Mar für ein Abschiedsmittagessen und mehr Musik und Tanzen für den Rest des Nachmittags.

Die Konferenz war eine seltsame Mischung. Der Hauptzweck der Konferenz vom Standpunkt der Kubaner war, was die Kubaner "devisas" oder "efectivo" nennen und was tatsächlich amerikanische Dollar bedeutet, zu erbringen. Wie in der DDR und anderen ehemaligen sozialistischen Ländern, ist der kubanische Peso keine tauschbare Währung und amerikanische Dollars werden gebraucht, um Bücher, Zeitschriften, Ausrüstung und viele anderen Dinge zu importieren, die für den Betrieb eines Universität-Institutes nötig sind. Das Organisieren von Konferenzen dieser Art bedeutet für die Professoren der Universität viel zusätzliche Arbeit und ihre Bereitwilligkeit, diese Arbeit zu übernehmen ist ein Zeichen ihrer Hingabe. Diese Konferenzen bedeuten nicht nur zusätzliche Arbeit, sondern zusätzliche Arbeit unter sehr schweren Umständen. Als man von Papiermangel sprach, ist mir klar geworden, warum keine schriftlichen Informationen vor der Konferenz an den Teilnehmer versandt worden waren. Falls einige ausländische Teilnehmer über die Unzuverlässigkeit mancher Aspekte der Konferenz frustriert waren, muss dazu gesagt werden, daß viele unserer kubanischen Kollegen diese Frustration teilen. In den Worten des englischen Dichters John Donne, "Kein Mann ist eine Insel". Mit dem besten Willen der Welt kann jemand nicht zuverlässig sein, wenn die Dinge von denen er abhängig ist, nicht zuverlässig sind.

Wir können sicher sein, dass unsere Konferenzgebühren guten Zwecken dienen, aber was sonst noch bringen diese Konferenzen für den ausländischen Besucher? Wenn Sie intellektuelle Anregung von einer Konferenz suchen, mögen Sie enttäuscht weg gehen. Der einzig mögliche akademische Grund, den ich sehen kann, eine solche Konferenz zu besuchen, wäre, mehr über die Arbeit der kubanische Psychologen im besonderen und der lateinamerikanischen Psychologen im allgemeinen herauszufinden. Wenn Sie Konferenzen mögen, die gut organisiert sind, dann sollten Sie zweifellos wegbleiben. Aber es gibt viel mehr zu Erleben als dieses. Wie wäre es mit Musik, Singen und Tanzen? Wie wäre es mit der unglaublichen Lebensfreude, die viele Kubaner haben (vielleicht sogar noch unglaublicher, wenn man an die schwierigen ökonomischen und politischen Umstände denkt, in denen sie leben)? Wie wäre es mit dem Unterricht in menschlicher Wärme, wovon unsere brasilianische Kollegin in der Schlusssitzung sprach? Ich bin fest überzeugt, daß die Kubaner ihre Prioritäten richtig gesetzt haben und deswegen betrachte ich zweifellos die 4. Internationale Werkstatt für Psychologie in Santiago de Cuba als die beste Konferenz, die ich je besucht habe.


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